Grenzgänge

Lichtenberg

Berliner Grenzgänge

AutorInnen: Daniela Eggert, Udo Lechleitner, Titelfoto: h-e-n-r-y

Das Wort verspricht helles Strahlen, zumindest ein Leuchten. Doch der gleichnamige Bezirk, der sich vom Nordosten Berlins in den Südosten der Stadt zieht, steht für andere Gedankenbilder. Vor allem steht der Bezirk, in dessen Zentrum der Ortsteil und Namensgeber Lichtenberg liegt, für ein stumpfes Grau.


Plattenhoheit

Ein Festungsgrau, das sich zumeist aus schwermütigen Betonriegeln und schmucklosen Häusern speist. DDR-Baukunst nach Plattenstandard WBS 69-70. Egal wie innovativ sie waren - hässlich sind sie noch heute. Fast könnte man meinen, sie sind die Leitplanken eines tristen und ganz bestimmt nicht coolen Bezirks. Doch beim näheren Hinschauen und bewußtem Durchstreifen streut der Bezirk seine urbane Abenteuerspur aus. Folgt man dieser, öffnen sich Grenzgänge diverser Schattierungen. Und was hier blüht ist wie eine Pflanze, die sich durch brüchigen Asphalt bohrt.


Bunt & Schrill

Als „Klein-Hanoi“ wird es kommuniziert, ist Magnet für Touristen und Hipster – da es trashig ist und aus funkelndem asiatischen Plastik zu bestehen scheint. Es ist das Zuhause der vietnamesischen Community, die sich bereits zu DDR-Zeiten in Ost-Berlin als Vertragsarbeiter verdingten. Und es ist ihr Einkaufsparadies. Der Weg dorthin verläuft an Industriebrachen, zugemauerten Hauseingängen und billigen Autohändlern vorbei. Das Dong Xuan Center an der Herzbergstraße steht auf Teilen des ehemaligen Geländes der VEB Elektrokohle und schmückt sich in schlichten Wellblechhallen. Es bietet etwas, was viele lieben, aber nicht in Lichtenberg vermuten würden: buntes, schrilles und geschäftiges Treiben. Ein Großmarkt für Plastikramsch und Blumen, Stoffe und Bekleidung. Und was als chinesische Seide dargeboten wird, entpuppt sich auf der Haut als schmeichelnde Kunstfaser. Hier gibt es das, was sich die Community wünscht. Es ist ein Wettlauf durch Garküchengerüche, neonbeleuchtete Gänge mit immer wiederkehrenden Warenbergen, gemeinem Volk und Beauty Shops. Kochen Vietnamesen zumeist für andere Gaumen, hier wird für Vietnamesen gekocht – asiatisch – nach Originalrezept. Und das in einem Bezirk, dessen Ausländeranteil weit unter dem Stadtdurchschnitt liegt und in dem deutsche Kultur auffällt und auch missfällt. Die asiatische Shoppingmall boomt – Ausbau inklusive.

Landschaftspark Herzberge
Foto: Udo Lechleitner

Naturgrün

Nur unweit des nach Osten verlaufenden Schienennetzes ein ganz anderes Bild: Lichtenberg ist plötzlich grün. Der Landschaftspark Herzberge eröffnet sich wie eine Oase, die von Kleingewässern, Schafen, Bienenstöcken und einem von Futterwiesen durchbrochenen Stadtwald belebt wird. Graffiti, Barackenkunst und Schafhirten bilden hier eine ungeahnte Komposition. Umzingelt von Industrieflächen, historischen Backsteinbauten mit Magnolienwuchs und sozialen Brennpunkten.


In Gedenken Rot

So wie dem Heimbetrieb in der Bornitzstraße, mit direktem Blick auf Abbruch und Verfall in der Nachbarschaft. Und alles in greifbarer Nähe zur Ruhestätte von Rosa Luxemburg und dem roten Pilgerort: der Gedenkstätte der Sozialisten von 1951. Auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde wurde zuvor das Revolutionsdenkmal von 1926 nach einem Entwurf von Mies van der Rohe errichtet und wieder zerstört. Es ist der Ort, der mit seiner Historie ganze Bücher zur deutschen und Berliner Geschichte füllt. Mitten in einem Bezirk, der mit seinem schlichten Gewand oft verschreckt, aber Grenzgänge durch die Facetten einer Großstadt, zwischen alt und neu, zulässt.


Unterdrückung

Unweit von „Klein-Hanoi“ liegt die Normannenstraße, Sinnbild einer anderen Realität. Zudem bitteres Kapitel deutsch-deutscher Nachkriegshistorie und fester Bestandteil der DDR-Lebenswelt. Von 1950 bis 1989 residierte hier auf einem weitläufigen Areal der zentrale Machtapparat der DDR-Staatssicherheit. Haus 1 – heute Forschungs- und Gedenkstätte – beherbergte unter anderem den Dienstsitz des obersten Hüters der Geheimpolizei, die „Mielke-Suite“. Und was das „Schild und Schwert der Partei“ für Feinde und Unangepasste der Sozialistischen Einheitspartei übrig hatte, kann beim Besuch des ehemaligen Stasi-Gefängnisses in Lichtenberg-Hohenschönhausen vielleicht im Ansatz mitgefühlt werden.


Schöner Wohnen

Ortswechsel: Ein Wohnklotz der besonderen Art in einer nahezu unwirtlichen Umgebung. Das „Q216“, beworben als hipper Raumteiler für Studenten, schiebt sich als Betonwand mit über 420 Kleinappartments zu üppigen Quadratmeterpreisen an der Frankfurter Allee entlang. Der Ausblick riesig: eine zum Greifen nahe sechsspurige Fahrbahn, eingehüllt von Tankstellenduft und in unmittelbarer Rangierweite des Bahnhofs Lichtenberg. Großstadtromantik im Tokio-Style.

  • Studenten-Appartments „Q216“, Frankfurter Allee
    Foto: Udo Lechleitner
  • Haupteingang Dong Xuan Center, Herzbergstraße
    Foto: Udo Lechleitner
  • Eingang Wohnheim, Bornitzstraße
    Foto: Udo Lechleitner
  • Grab von Rosa Luxemburg, Zentralfriedhof Friedrichsfelde
    Foto: Udo Lechleitner

Interview

Daniela Eggert | Monika Arnold

Monika Arnold (69), hat als Ur-Lichtenbergerin den stetigen Wandel „ihres“ Bezirks miterlebt. Bereits ihre Mutter wohnte hier. Die Nachkriegszeit haben beide hautnah miterlebt und sie war von Grenzgängen geprägt – Lebensmittelpunkt war der Osten, ins Kino ging sie im Westen. Die Jahre der Teilung Deutschlands und Berlins hat sie während des Studiums an der Humboldt-Universität und den ersten Arbeitsstellen miterlebt. Die Wiedervereinigung kam für sie plötzlich, aber Monika hat für sich und ihre Familie das Beste daraus gemacht - vor allem am Reisen hat sie großes Gefallen gefunden. Die Jahre nach der Wende bis in die Gegenwart sind nicht spurlos an ihr vorbeigezogen – nur eins hat sich nicht verändert – ihre Treue zu Lichtenberg. Ich treffe Monika Arnold in einem Café am Anton-Saefkow-Platz und erkenne sie sofort, als sie forsch die Tür öffnet und selbstsicher eintritt. Die Begrüßung ist typisch berlinerisch – energisch, resolut und nicht freundlicher, als unbedingt nötig.
Frau Arnold, seit kleinauf leben Sie in diesem Bezirk. Was ist Ihre erste Erinnerung bezüglich Lichtenbergs?

Monika: Die Frage kann ich so nicht beantworten. Ich habe immer in Lichtenberg gewohnt. Zusammen mit meiner Mutter – meinen Vater habe ich nie kennengelernt, er ist an der Ostfront gefallen – habe ich in der Wotanstraße direkt am Freiaplatz gewohnt. Später sind wir umgezogen, bevor ich in ein Kinderwochenheim in Friedrichsfelde kam, in direkter Nähe zum Tierpark. Hier sind wir oft durch den verwilderten Schlosspark getobt und haben als Teil des Nationalen Aufbauwerks geholfen, den Park wieder herzurichten.


Was hat Sie über all die Jahre in Lichtenberg gehalten?
Monika: Wenn man in einem Kiez groß geworden ist, identifiziert man sich damit. Ick fühl mich hier heimisch und möchte auch nich mehr weg. Jede Straße und viele Häuser erinnern mich an Abschnitte, Momente und Menschen meines Lebens.


Verraten Sie uns Ihre Lieblingsorte?
Monika: Da ist der Freiaplatz, der mich stark an meine Kindheit erinnert und wo ich auch jetzt immer noch gern bin - obwohl er inzwischen schon mehrfach umgemodelt wurde und meine damals geliebten Kletterstangen verschwunden sind. Neuerdings gehört auch der Landschaftspark Herzberge zu meinen Lieblingsorten. Hier ist es dem Bezirk gelungen, aus einem unbeachteten Stück Brachland und einer stillgelegten Industriebahntrasse einen abwechslungsreichen Park anzulegen.


Lichtenberg kurz und knapp ...?
Monika: Ein sehr grüner und boomender Bezirk mit Geschichte.


Was fällt Ihnen spontan zum Begriff „Grenzgänge“ ein?
Monika: Berlin war als Viersektorenstadt spannend. Ständige Ausweiskontrollen an den Checkpoints führten dazu, dass man immer wieder an die absurde Situation Berlins erinnert wurde. Das Gleiche passierte auch viel später, als der Fernsehturm schon stand und man von oben abends den hell erleuchteten Mauerstreifen quer durch die Stadt sah. Das konnte einfach nicht von Dauer sein. Betrachte ich allein Lichtenberg, so empfinde ich den Bezirk als eine Art Puffer zu den sehr nachgefragten Innenstadtbereichen.


Foto: Monika Arnold
hotspot

„Ick fühl mich hier heimisch und möchte auch nich mehr weg.“ Monika Arnold