Grenzgänge

das fühlt sich
wie
fliegen an

Beim Extremsport kommen Körper und Geist an die Grenzen

Autorin: Luzie Baumgart, Titelfoto: Christian Pondella/Red Bull Content Pool

Extremsport macht man und schreibt nicht darüber! Aber ich sitze am Computer und haue in die Tasten, so wie die meiste Zeit des Studiums. So muss es sich anfühlen, wenn man ein Rezeptbuch schreibt, aber all die leckeren Gerichte daraus nicht gleichzeitig essen kann. Viel lieber würde ich mit dem Snowboard durch unendliche Schneelandschaften fahren oder auf einem Mountainbike den Berg runter brettern: Das fühlt sich wie fliegen an! Der Puls steigt, alles rast an einem vorbei, eine Menge Adrenalin wird ausgeschüttet. Das Gehirn läuft auf Hochtouren und trotzdem ist es ein guter Ausgleich zur täglichen Schreibtischarbeit. Denn hier fehlt nicht nur die Bewegung, hier fehlt der Nervenkitzel, die Spannung, das Abenteuer!

Wenn man bei den in unserer Branche leider vielerorts üblichen Überstunden seine Abende im Büro verbringt, kommt man zwar auch an die Grenzen der nervlichen Belastung - doch wo bleibt heutzutage noch die körperliche Herausforderung?


Sport oder Extremsport

Die Grenze zwischen Sport und Extremsport verläuft nicht immer eindeutig. So ist es zwar sehr spaßig, aber nicht grade riskant, auf einer Slackline zwischen zwei Bäumen zu balancieren, die nur einen halben Meter über dem Boden hängt. Wenn allerdings geübte Slackliner anfangen Salti darauf zu springen, sieht es nicht mehr nach Freizeitsport aus. Gleiches Sportgerät, aber anderer Ort: Highlining. Dabei wird auch über eine Slackline spaziert, allerdings in schwindelerregender Höhe - vorzugsweise von einem Felsen zum anderen, mit einer tiefen Schlucht dazwischen. Einer der bekanntesten Highliner ist Andy Lewis, der sich selbst als „Mr. Slackline“ betitelt. Sein Können ist beeindruckend, allerdings nur eingeschränkt vorbildlich, da er manchmal ohne jegliche Sicherung läuft.

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Das Schöne am Slacklining ist die günstige Anschaffung und die Tatsache, dass man nur zwei Bäume braucht, um loszulegen - davon hat Berlin zum Glück einige. Für Snowboarding, Kiteboarding oder Surfing ist nicht nur eine teure Ausrüstung nötig - in Berlin findet man leider keine hohen Berge, geschweige denn ein Meer. Davon abgesehen ist es letztendlich natürlich Geschmackssache, ob man lieber in Ruhe durch den Park joggt oder voller Adrenalin einen Berg runter heizt. Ist man dem Extremsport allerdings erst einmal verfallen, bedeutet es je nach Wohnort, dass man zunächst reisen muss, bevor man starten kann. Der Spaß wird dadurch noch potenziert, denn die Vorfreude steigt schon, während man die Ausrüstung packt. Als mehrmals wöchentlicher Ausgleich zum Studium in Berlin sind derart aufwendige Sportarten weniger geeignet, da man sie leider kaum regelmäßig betreiben kann. Dass wir durch die örtliche Begebenheit nicht schon mit diesen Sportarten aufgewachsen sind, erklärt auch warum sie aus unserer Sicht extremer sind. Sie sind exotisch. Kinder, die in den Alpen aufwachsen, stehen schon auf Ski bevor sie laufen können. Dafür löst es bei manch einem, der nicht aus einer Großstadt kommt, möglicherweise schon Angst aus, sich zur Hauptverkehrszeit mit dem Fahrrad durch die Innenstadt zu schlagen - was widerum für uns ganz normal ist. Wie immer im Leben ist es eine Frage der Perspektive und Gewohnheit.

Ein selbstversuch

Seit 20 Jahren mache ich Sport, aber ich habe erst vor zwei Jahren begonnen, alles mögliche an Extremsportarten auszuprobieren. Man fängt mit kleinen Schritten an, die erste Überwindung ist am schwersten. Zum Beispiel beim Klippenspringen: der erste Absprung lag nur 3m über der Wasseroberfläche, trotzdem habe ich gezögert. Die Absprungfläche ist uneben und steinig, das Wasser bewegt sich und der Meeresgrund ist nicht immer sichtbar. Nach dem ersten Sprung waren alle Bedenken erledigt und am Ende des Tages sind wir aus 12 Metern Höhe gesprungen. Der Spaß steigt mit jedem Meter!

Es wäre allerdings lebensmüde, einfach irgendwo herunter zu springen. Deshalb müssen immer entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. In diesem Fall ist es ein Guide, der alle Stellen an denen gesprungen wird kennt und weiß, dass das Wasser dort tief genug ist. Theoretisch kann dann nichts passieren. Jeder, der schwimmen kann, könnte auch einmal gefahrlos Klippenspringen ausprobieren. Anders sieht es beim Mountainbiking aus: jeder Stein und jede Wurzel sieht für Anfänger wie ein schwieriges, holpriges Hindernis aus. Bei meiner ersten Abfahrt konnte ich mir noch nicht vorstellen, auch mal schneller als Schrittgeschwindigkeit bergab zu fahren. Doch jede weitere Fahrt steigerte mein Können und damit auch meine Geschwindigkeit. Die gleiche Erfahrung habe ich im Snowboarding gemacht und ich kann nur jedem empfehlen: egal wie viele blauen Flecken oder Schrammen man wegstecken muss, es lohnt sich. Denn das Gefühl mit Karacho den Berg hinunter zu fahren ist unbeschreiblich!

Und wer sich nicht für eine Sportart entscheiden kann, für den ist Coasteering genau das richtige. Beim Coasteering bewegt man sich an einer Küste entlang, undzwar immer so wie es die Küste grade erfordert. Es ist eine atemberaubende Kombination aus Klippenspringen, Klettern, Schwimmen, Abseilen, Bergsteigen und Höhlentauchen. Und an entsprechend einfachen Küstenabschnitten ist Coasteering mit guten Guides sogar für Anfänger geeignet.

Info

Ab wann wird es extrem?

Laut Duden bedeutet Extremsport, dass Sport mit höchster körperlicher Beanspruchung ausgeführt wird, und mit Gefahren verbunden ist. Sportler selbst betonen bei der Frage nach Extremsport das Gefühl, lebendig zu sein und den Adrenalinrausch, der oft durch die Kombination aus Geschwindigkeit und potentieller Gefahr entsteht. Was nicht bedeutet, dass Extremsportler lebensmüde sind: viel Training, hohe Konzentration, sowie zunehmend optimierte Sportgeräte und bessere Schutzausrüstung sorgen für Sicherheit. Jeder Sportler kann außerdem sein individuelles Extrem herausfinden, indem er seine Angst überwindet und eine Welt betritt, die ihm vorher verschlossen war.

  • Foto: Philippe Garcia/Red Bull Content Pool
  • Foto: Dean Treml/Red Bull Cliff Diving