Grenzgänge

Zwischen Intensivstation
und FrachtContainer

Steigende Studentenzahlen, horrende Mietpreise, zu wenig Wohnheimplätze – Unternehmer und Studenten nutzen die angespannte Situation, um mit kreativen Ideen den Markt zu verändern.

Autorinnen: Kathrin Schmidt, Nicole Risse, Rebekka Kreuzer, Titelfoto: Holzer Kobler Architekturen

Wohnungssuche kann der Horror sein. Wer schon einmal in den Genuss gekommen ist, in einer neuen Stadt für sein Studium eine Unterkunft zu suchen, der weiß, dass einen die Suche zur Verzweiflung treiben kann. Besonders in Berlin.

Im Wintersemester 2012/2013 waren in Berlin 160.145 Studierende immatrikuliert. Dieser Zahl stehen knapp 9.500 Wohnheimplätze gegenüber, die das Berliner Studentenwerk zur Verfügung stellt. Kein Wunder also, dass diese so begehrt und schwer zu haben sind. Im Sommer 2013 standen bereits 998 Studierende auf der Warteliste. Wartezeiten von über zwei Jahren sind keine Seltenheit. Hat man erst einmal einen der heißbegehrten Plätze ergattern können, ist das Studium schon fast wieder beendet.

Gezwungenermaßen müssen Alternativen gefunden werden. Hierbei sind WGs oder eigene Wohnungen die gängigstigen Wege. Allerdings legt einem das Wörtchen „Gentrifizierung“ häufig Steine in den Weg. In Berlin explodieren die Mietpreise regelrecht und sofern die Studentenbude sich nicht in einem beschaulichen Plattenbauwald von Marzahn-Hellersdorf befinden soll, dürfte ein Student immer mehr Schwierigkeiten haben, genügend Geld für die horrenden Mietpreise aufzubringen.

In solchen Situationen ist Kreativität gefragt. So entstehen ganz neue Wohnprojekte, welche die Möglichkeit schaffen, in ungewöhnliche Behausungen einzuziehen. Von einem Frachtcontainer bis hin zum ehemaligen Kinderkrankenhaus gibt es zahlreiche Orte, mit denen Wohnen bis vor Kurzem noch nicht in Verbindung gebracht worden wäre

Auf 17 Studierende kommt ein Berliner Wohnheimplatz

Hauswächter schützen vor Verfall

Wohnen in einem Schloss oder in einem großen Anwesen mit weitläufigem Garten – das klingt wie ein Märchen. Und doch kann dies für fast jeden zur Realität werden – möglich gemacht durch das aus Holland herübergeschwappte Konzept der Hauswächter. Das Konzept beruht auf der Idee, leerstehende Gebäude durch Bewohner bewachen zu lassen und die Gebäude damit vor Vandalismus und Verfall zu schützen. Urvater der Idee ist das bereits 1993 gegründete holländische Unternehmen Camelot. Die Idee der Hauswächter hat auch im Ausland großes Interesse geweckt. Heute hat das Unternehmen 16 Niederlassungen in sechs europäischen Ländern – seit 2010 auch in Deutschland.


Ehemaliges Kinderkrankenhaus Lindenhof, Berlin Lichtenberg
Foto: Nicole Risse

In Berlin können Hauswächter im alten Kinderkrankenhaus Lindenhof in Berlin Lichtenberg wohnen. Für unschlagbare 180 Euro im Monat bietet sich den Bewohnern jede Menge Platz und ein außergewöhnliches Wohnerlebnis. Ähnlich wie in einer WG hat jeder sein eigenes Zimmer. Küchen, Bäder, Terrassen und Gärten werden oft gemeinschaftlich genutzt und dienen als Treffpunkt für die Bewohner.

Die Hauswächter müssen sich allerdings auch an Regeln halten. Da Camelot sehr viel Wert auf Sicherheit legt, ist das Rauchen und Anzünden von Kerzen in den Wohnräumen nicht gestattet. Außerdem muss jeder Bewohner ein Feuerschutzpaket kaufen. Regelmäßig schauen Mitarbeiter von Camelot vorbei und überprüfen, ob in den Gebäuden alles in Ordnung ist und die Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden. Weiterhin müssen die Bewohner Besuch vorher anmelden und dürfen keine baulichen Veränderungen ohne Genehmigung vornehmen.

Für Hausbesitzer bietet das Prinzip Bewachung durch Bewohnung den Vorteil der Werterhaltung der Substanz ihrer Gebäude. Die Immobilien werden durch die Präsenz der Hauswächter vor Vandalismus, Hausbesetzern und Einbrechern geschützt. Außerdem werden technische Schäden durch Wassereinbruch, Hagel oder Sturm, sowie der Befall von Ungeziefer eher erkannt und dem Eigentümer gemeldet. Statistiken zeigen, dass in bewohnten Gebäuden weniger eingebrochen und zerstört wird. Dadurch entstehen niedrigere Instandhaltungs- und Wachschutzkosten für die Eigentümer.


Foto: Nicole Risse

Das niederländische Konzept bietet Vorteile sowohl für Hauswächter, denen sehr günstig viel Wohnraum zur Verfügung steht, als auch für die Besitzer, die ihre Gebäude auf diese Weise geschützt wissen. Für die Bewohner besteht dennoch die ständige Ungewissheit, wie lange sie in den Objekten bleiben können. Sie müssen sehr flexibel sein, denn sobald sich neue Eigentümer finden, heißt es für sie, Koffer packen und auf zu einem neuen Wohnerlebnis an einem anderen Ort.

Leben im Wohncontainer

Neuer Wohnraum für Studenten muss her. Doch wie soll dieser in Zukunft aussehen? Diese Frage stellte sich auch Bauherr Jörg Duske, der im Oktober 2013 neue Studentenwohnungen in Berlin Treptow-Köpenick fertigstellen ließ. Auf dem 11.000  qm großen Grundstück ist im letzten Jahr ein ganzes Studentendorf entstanden, welches bis Ende 2014 fertiggestellt werden soll. Hierbei handelt es sich jedoch um keine gewöhnliche Wohnanlage. Die Studenten werden hier zukünftig in 307 ausrangierten Frachtcontainern unterkommen.

Zwei der drei Wohnblöcke stehen bereits. Ihre Namen: Frankie und Johnny. Um das Leben in den Containern möglichst angenehm zu gestalten, wurden diese zu richtigen Wohnungen ausgebaut. Bei dem Prozess sind 235 Single-Wohnungen sowie vereinzelt auch Zwei- und Dreiraumwohnungen auf dem Gelände entstanden vorhanden. Auf den 26 qm der Single-Container wurde alles eingebaut, was auch in einer typischen Wohnung zu finden ist: es gibt eine Kochnische, ein Duschbad und eine Aufteilung in Wohn- und Schlafbereich. Manche der Wohncontainer haben sogar einen Balkon.

Zwischen den Wohnblöcken befinden sich Gemeinschaftsgärten, Swimmingpools, Grillplätze, eine Kletterwand, mehrere Aufenthaltsräume und ein Wasch­salon, der gleichzeitig eine Partylocation für die Studenten werden soll. So schafft der Unternehmer ein gesamtes Dorf, in dem es schwerpunktmäßig darum geht, miteinander das Studentenleben zu genießen.

Wer jetzt noch immer denkt, dass er nie in einem Frachtcontainer leben könnte, sollte sich die Wohnblöcke definitiv einmal selbst ansehen. Clever aufeinandergestapelt erinnern sie mehr an richtige Wohnhäuser, als an alte Frachtcontainer. Und damit der richtige Flair entsteht, wurde die Gestaltung der Wohncontainer über einen Architekturwettbewerb ausgeschrieben.

Die Wohnungen können über die Internetseite www.eba51.de angemietet werden. Eine Single-Wohnung ­inklusive Internet, Wasser und Strom kostet je nach Ausstattung zwischen 349 und 399€. Wer kein Student mehr ist muss, sich noch etwas gedulden. Es sind weitere ­Projekte derselben Art geplant, die sich nicht nur auf Studenten begrenzen sollen. Hier ist der Unternehmer allerdings noch auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück für weitere Containerwohnungen. Studenten hingegen können schon jetzt die Wohnblöcke beziehen und austesten, ob das Leben in den Frachtcontainern etwas für sie ist.

Weitere Infos zum Projekt im Plänterwald unter:

www.eba51.de
Foto: Holzer Kobler Architekturen